Toyota Kata: Befähigung zur zielgerichteten Verbesserung

Wolfgang Kersten, Matthias Ehni und Alexander Hein

Die Erfolge von Lean Management bleiben häufig hinter den Erwartungen westlicher Unternehmen zurück. In der Regel liegt die Ursache hierfür in dem methodischen Fokus der Anwender bei gleichzeitiger Vernachlässigung von verhaltensorientierten Aspekten. Der auf Fallstudien basierende Artikel zeigt einen ganzheitlichen Ansatz der Lean-Implementierung auf. Dieser erlaubt es, die Mitarbeiter auf Shop-Floor-Ebene unter Berücksichtigung verhaltensorientierter Aspekte zur dezentralen und zielgerichteten Verbesserung zu befähigen.

Lean Management ist seit Jahren ein wirkungsvolles Instrument zur Entwicklung der Leistungsfähigkeit. Dabei wird der Prozess der Leistungserstellung aus der Kundenperspektive hinterfragt und diejenigen Bestandteile reduziert, die keinen Beitrag zur Wertschöpfung liefern. Hierzu gehören beispielsweise Bestände oder Wartezeiten im Prozess, die aufgrund unzureichender Abstimmung zwischen den Prozessschritten entstehen.

Dennoch bleiben die Bemühungen zur Verbesserung der Wertschöpfungsprozesse in westlichen Unternehmen meist hinter den Erwartungen zurück. Als Grund hierfür nennen Liker [1] und Rother [2] die Art und Weise der Lean-Einführung: so wird in der Regel der Prozessfluss durch ein Projektteam verbessert. Mit Projektabschluss enden jedoch auch die Verbesserungsbemühungen und der Prozess verbleibt im besten Fall auf dem geschaffenen Niveau. 

 


Bild 1: Die Struktur der Verbesserungs-Kata [2]

Das Toyota-Konzept

Toyota, der Begründer des Lean Management, verfolgt einen anderen Ansatz. Damit eine Kontinuität der Verbesserung entstehen kann, werden Mitarbeiter auf Shop-Floor-Ebene mit der Aufgabe der Verbesserung betraut. Ihr Ziel: die kontinuierliche und zielgerichtete Entwicklung neuer Standards im Prozess der Leistungserbringung. Hierfür sind sowohl methodische Kenntnisse als auch ein entsprechendes Verbesserungsverhalten erforderlich. Als Methodik für die Prozessentwicklung wird die Toyota Business Practice (TBP), ein erweiterter PDCA-
Zyklus, eingesetzt. Die TBP besteht aus folgenden Schritten [1]:

  • Problem in Bezug zum idealen Zustand definieren,
  • Ist-Situation erfassen,
  • Ursache identifizieren,
  • Verbesserungs-Ziele setzen,
  • geeignete Lösung aus verfügbaren Alternativen auswählen ,
  • testen der Lösung,
  • Ergebnisse kontrollieren,
  • anpassen, standardisieren und ausbreiten.

Das Verbesserungsverhalten erreicht Toyota über die regelmäßige Anwendung der TBP unter Anleitung eines Coaches. Dieses Vorgehen ist didaktisch wertvoll, da es die Grundvoraussetzungen des Lernprozesses wie das Lernen am Objekt in kleinen Schritten sowie die Wissensentwicklung über Coachings unterstützt [3].

Westliche Unternehmen haben andere Lernkulturen. So erfolgt ein Erlernen häufig über Schulungen und ohne Begleitung eines Coaches. Entsprechend ist es schwierig, die Systematik von Toyota zu adaptieren. Rother [3] widmet sich diesen kulturellen Unterschieden und leitet ein Vorgehen ab, das diese Lücke schließt. Benannt wird dieses aufgrund seiner Charakteristik nach der Kampfsportroutine Kata, bei der Routinen über ständige Wiederholungen zu Automatismen werden. Das Vorgehen untergliedert sich in zwei Routinen, die Verbesserungs-Kata und die Coaching-Kata.


Die Verbesserungs-Kata ist die Routine zur zielorientierten Verbesserung. Sie besteht aus vier Schritten, die ein Äquivalent zu den Toyota Business Practices darstellen (Bild 1). Grundlegend dabei ist die Ausrichtung an einem langfristigen Ziel (Schritt 1). Im Falle von Toyota ist dieses das Just-In-Time-Prinzip. Dieses gibt eine Orientierungshilfe für Verbesserungen innerhalb des Verbesserungsprozesses. In Schritt 2 steht das Verständnis des zu verbessernden Prozesses im Vordergrund. Abhängig von diesem kann nun ein erreichbarer, kurzfristiger Zielzustand auf dem Weg zum langfristigen Ziel definiert (Schritt 3) und schrittweise auf diesen Zustand experimentell hingearbeitet werden (Schritt 4).

 


Tabelle 1: Fallstudien – Untersuchte Unternehmen
und angewendete Methoden
 

Die Coaching-Kata ist die zur Verbesserungs-Kata komplementäre Routine. Sie dient dazu, den Coach darin auszubilden, den Verbesserer angemessen zu führen. Entsprechend orientiert sie sich an den Schritten der Verbesserungs-Kata, wobei der Coach den Verbesserer über Fragen durch den Prozess leitet.


Zielsetzung der Untersuchung und Identifikation von Anwendern der Kata
Die Forschungsarbeiten von Liker und Rother stellen ein gutes Fundament für die Integration verhaltensorientierter Aspekte zur dezentralen und zielgerichteten Verbesserung dar. Dennoch werden folgende Fragenstellungen nur unzureichend beantwortet:

  • Wie lässt sich die Prozessvision in praktikable Ziele auf Shop-Floor-Level überführen? 
  • Wie sieht ein Roll-Out in diesem Kontext aus?

Um diese Fragen zu beantworten, wurden im Rahmen des vom BMWi geförderten Forschungsprojektes Fallstudien in Unternehmen durchgeführt, die die Kata anwenden (Tabelle 1).

Aus einem Vergleich der untersuchten Fälle wird ein Gesamtkonzept entwickelt. Erste Ergebnisse werden nachfolgend vorgestellt.

Da die Adaption von Verhaltensweisen im Kontext der Lean-Einführung noch nicht der Standard ist, war es herausfordernd Anwender zu identifizieren. Hier konnte die Lean Partners Projekt Gesellschaft (LPPG), die auf Unterstützung der Kata Einführung spezialisiert ist und hier Pionierarbeit leistet, anwendende Unternehmen vermitteln und wesentliche Grundlagen vermitteln.


Die Einführung

In den analysierten Fällen ging es initial darum, das Management von der Idee der dezentralen Verbesserung zu überzeugen. Hierfür wurde jeweils ein Workshop durchgeführt, indem die Manager unter Anleitung erfahrener Anwender die Verbesserungs-Kata ausprobierten. Dieses Vorgehen zielte auf die Vermittlung des Nutzens und somit auf das Management-Buy-In als essentielle Voraussetzung für den Erfolg.

 


Bild 2: Systematische Vermittlung der Kata

Darauf folgte ein Workshop zur Zielfindung auf Ebene der Werks- und Abteilungsleitung. Hierin wurde im ersten Schritt die Prozessvision erarbeitet. Bei LPPG ist dies auf der prozessualen Ebene in der Regel ein Just-In-Time-Prozess als Ausdruck minimaler Verschwendung. In Schritt 2 wurde eine Herausforderung auf Werksebene definiert. Diese stellt ein Etappenziel auf dem Weg zur Vision dar und sollte in einem Zeitraum von 1-3 Jahren realisierbar sein. Konkret wird dafür der Ist-Zustand mittels Wertstromanalyse dargestellt und auf dieser Basis die Herausforderung entwickelt. Tatsächlich setzten die Unternehmen Her-
ausforderungen in einem Zeitraum von einem Jahr an, da diese sich gut mit entsprechenden Zielvereinbarungen verknüpfen lassen. In Schritt 3
wurde die Werksherausforderung auf Ebene der Abteilungsleiter heruntergebrochen. Dieses erfolgte unter Nutzung der Daten des Soll-Wertstroms und einer entsprechenden Detaillierung der Prozesse.
 

Rollout

Für den Rollout wurde zunächst der Einführungsumfang bestimmt. Dafür wurden die Anzahl der Verbesserer, der Coaches und 2nd Coaches bestimmt sowie entsprechende Zeitressourcen zugeordnet. Der 2nd Coach hat dabei die Funktion eines Coach-Coaches, der gemeinsam mit dem Coach die Coachings reflektiert. Waren entsprechende Ressourcen benannt, wurden die  Mitarbeiter Top-Down, beginnend beim Management, geschult. Dieses erfolgte direkt im Prozess über die Anwendung der Verbesserungs-Kata. Geleitet wurden die Anwender durch einen Kata-Experten. Beherrschten die Anwender die Verbesserungsroutine, bestand ihre Aufgabe darin, ihre Erfahrung an die nächste Hierarchieebene in der Funktion des Coaches weiterzugeben. Ihre Coachings reflektierten sie regelmäßig mit dem Kata-Experten. Derart wurden entsprechende Kompetenzen sukzessive über die Hierarchie bis zum vorgesehenen Verbesserer heruntergebrochen (Bild 2).


Die Kata im Alltag

Für die Anwendung der Kata bedarf es neben Anwenderkenntnissen auch geeigneter Zielvorgaben. Da jeder Verbesserer einen Teil zu den Werkszielen bzw. Abteilungszielen beitragen soll, werden die entwickelten Herausforderungen der Abteilung auf den entsprechenden Prozess des Verbesserers heruntergebrochen. Hierfür wurde in den Unternehmen die Methode des Hoshin-Kanri angewendet. Diese beruht auf dem Catchball-Prinzip, wobei individuelle Ziele vereinbart werden. Der Vorgesetzte überführt seine Ziele in die darunterliegende Hierarchieebene und gibt seinem Mitarbeiter den Auftrag, diese zu prüfen. Nach der Plausibilitätsprüfung werden die Ziele akzeptiert oder neu verhandelt. Mit dieser Zielvorgabe kann dann der Verbesserungsprozess gestartet werden.

Dieser erfolgt nach der Verbesserungs-Kata. So wird zunächst der Ist-Zustand standardisiert über eine Prozessanalyse aufgenommen (Bild 3).
 

Ist der Ist-Zustand beschrieben, wird ausgehend von diesem, ein geeignetes Unterziel, der nächste Zielzustand, zur Annäherung an die Herausforderung definiert. Dieser ist in einem kürzeren Zeitraum (1-3 Monate) als die Herausforderung (1-3 Jahre) umzusetzen und in Abhängigkeit von den Fähigkeiten des Verbesserers zu gestalten. Ein geeigneter Zielzustand sollte dabei in der sogenannten Lern-Zone liegen. Diese fordert den Verbesserer heraus, ohne ihn zu überfordern. Steht der Zielzustand fest, wird der Prozess über Experimente in Richtung des Zielzustandes entwickelt und somit auf ein neues Niveau gehoben. Priorisiert werden dabei die Prozesselemente, die Engpässe darstellen. Da diese den Output limitieren, wird durch den Fokus auf sie das Gesamtsystem verbessert. Bei den Experimenten selbst ist die richtige Auswahl der Hindernisse entscheidend. So sollten sie beeinflussbar sein, d. h. im Rahmen der Kompetenzen des Verbesserers verändert werden können. Für eine exakte Ursachenzuordnung ist es zudem notwendig, lediglich einen Parameter im Rahmen eines Experiments zu verändern. Das gesamte Vorgehen – vom Setzen der Zielzustände bis zur Durchführung der Experimente – verantwortet dabei der Coach, indem er steuernd über Fragen eingreift. 

 


Bild 3: Standardvorgehen im Rahmen der Prozessanalyse


Fazit

Die Fallstudien zeigen exemplarisch auf, dass es möglich ist, eine dezentrale und zielgerichtete Verbesserung über verhaltensorientierte Coachings in Unternehmen zu verankern. Dieses ist offensichtlich dann besonders erfolgreich, wenn die oberste Führungsebene das Vorhaben unterstützt. Für die langfristige und unternehmensweite Ausweitung bedarf es zudem einer weiteren Ergänzung des Konzeptes um strategische Elemente, wie beispielsweise Personalentwicklung.
 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes „situationsadäquate Lean-Implementierung“. Das Projekt der Forschungsvereinigung Bundesvereinigung Logistik e. V. (BVL) wird über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigung (AiF) im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom BMWi gefördert.

 

 

Schlüsselwörter:

Lean Management, Mitarbeiterbefähigung, Toyota Kata, Fallstudie