
Der Weg zur Premiumqualität –
Die Herausforderungen der Automobilhersteller
Kundenanforderungen und Wettbewerbsdruck veranlassen Automobilhersteller, Premiumqualität zu priorisieren und sich durch Produkt- und Servicequalität zu differenzieren. Dabei ist es wichtig, Rückrufe zu vermeiden, die in der Regel zu bedeutenden Imageschäden führen. Welche Treiber und Leitfragen bei der Qualitätsstrategie zu beachten sind und wie Rückrufe mithilfe von Predictive Quality Analytics systematisch reduziert werden können, wird in diesem Beitrag vorgestellt.
Treiber und Herausforderungen
Wegen zunehmenden Marktdrucks durch stetig steigende Kundenanforderungen und gleichzeitig wachsenden Wettbewerbsdruck sind Automobilhersteller immer mehr gefordert, sich bei der Produktqualität und Services zu differenzieren. Das Qualitätsmanagement bei Automobilherstellern bewegt sich dabei im herausfordernden Spannungsfeld zwischen Kundenzufriedenheit und Kostenkontrolle. Um Erträge und Umsätze zu sichern, ist die Erfüllung von Kundenerwartungen ein entscheidender Wettbewerbsvorteil [1].
Neben harten und messbaren Faktoren, die dem klassischen Qualitätsmanagement im Maschinenbau zugrunde liegen, müssen Automobilbauer inzwischen subjektive Qualitätsfaktoren berücksichtigen und die „richtigen“ Kundenemotionen auslösen. Qualität definiert sich nicht allein in Fehlerraten von ppm (parts per million) und in Spaltmaßen [2]. Vielmehr können sich ebenso weiche Faktoren in harten Zahlen bemerkbar machen; so haben z. B. „gutes Design“ oder auch „Sportlichkeit“ in der differenzierten und reifen Wirtschaft immense Bedeutung erlangt und sich zu entscheidenden Kaufkriterien entwickelt [3]. Mit anderen Worten hat Qualität genau genommen zwei Dimensionen: Es wird zwischen der Produktattraktivität und der Produktqualität unterschieden. Die Produktattraktivität umfasst emotionale Aspekte, wohingegen die Produktqualität alle messbaren Faktoren wie Fehlerquoten, Knarz- und Klappergeräusche etc. beinhaltet [2].
Für die Erarbeitung einer Qualitätsstrategie und im Wettbewerbskampf um die Qualitätsführerschaft gibt es für Automobilhersteller jedoch keinen etablierten standardisierten Ansatz. Fünf Treiber gilt es im Rahmen der Konzeptionierung und Operationalisierung der Qualitätsstrategie zu beachten:
- Zunahme von Baukastensystemen und Derivaten: Durch den Ausbau der Plattformstrategien wächst die Anzahl an Produktderivaten und Gleichbauteilen durch Baukästen, wodurch gleichzeitig das Qualitätsrisiko steigt.
- Erhöhung der Fehlerquellen durch Elektronik und Vernetzung: Mit der Zunahme elektronischer Komponenten und den Grad an Vernetzung in den Fahrzeugen erhöht sich gleichzeitig immens das Ausfallrisiko.
- Organisatorisches Verständnis: Qualität als Kostentreiber: Qualität wird in den Unternehmen als Kostentreiber, jedoch nicht als Beitrag zur Wertschöpfung gesehen und zur Umsatzgenerierung verstanden.
- Qualität ist marktspezifisch: Das Verständnis der Fahrzeugqualität ist global nicht einheitlich. Kultur ist ein wesentlicher Treiber für das Verständnis und die Priorisierung von Qualitätsaspekten. Daher sind regionale Qualitätsstrategien erforderlich.
- Qualitätsmanagement ist reaktiv und basiert auf Vergangenheitsdaten: Rückrufaktionen sind keine Ausnahmen – jedoch sind sie Reaktionen auf in der Vergangenheit entstandene Fehler.

Bild 1: Rückrufquoten (in %) im 1. HJ 2014 im US-Markt [4]
Basierend auf den vorgestellten Treibern gilt es für Automobilhersteller im Rahmen der Erarbeitung und Konzeption der Qualitätsstrategie folgende drei Leitfragen zu beantworten, um eine Qualitätsführerschaft zu erreichen:
1. Auswahl und Spezifizierung strategischer Qualitätskennzahlen
Im Qualitätswesen in der Automobilindustrie existieren zahlreiche Qualitätskennzahlen wie beispielsweise TÜV, IQS (Initial Quality Study), NCBS (New Car Buyer Survey), IACS (International Aftersales Customer Satisfaction Study), VDS (Vehicle Dependability Study) oder Consumer Report. Die Auswahl der Qualitätskennzahlen zur zielgerichteten Unternehmenssteuerung fällt Automobilherstellern jedoch nicht leicht und hängt von zahlreichen Faktoren ab – insbesondere von den Kunden. Grundsätzlich gilt in der Branche das ungeschriebene Gesetz, dass ein Fahrzeug nur dann global Erfolge verzeichnen kann, wenn es in den USA Erfolg hat. Daher müssen die Besonderheiten der USA besonders betrachtet werden; gleichzeitig gilt es, regionale Anforderungen und Kulturen anderer Märkte zu berücksichtigen. Beispielsweise favorisieren Pkw-Kunden in den USA aus Prestigegründen keine Dieselfahrzeuge – gleiches gilt für chinesische Kunden. Sie empfinden Dieselfahrzeuge als laut und schmutzig und möchten an der Tanksäule nicht neben Lkw verweilen [3]. Die Mentalität europäischer Kunden hingegen ist durch ein hohes Kostenbewusstsein geprägt. Darüber hinaus gibt es viele weitere Unterschiede: Der amerikanische Kunde bevorzugt in seiner Luxuslimousine ein Kühlfach im Handschuhfach, um sein Softgetränk zu kühlen. Damit kann der chinesische Kunde jedoch wenig anfangen, da er auch bei heißen Sommertemperaturen seinen grünen Tee warm genießen möchte.
Des Weiteren prägen in den USA Fahrzeugrückrufe das Markenimage in puncto Qualität maßgeblich. Die „National Highway Traffic Safety Administration“, die zivile US-Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit, veröffentlicht regelmäßig Rückrufdaten. Bild 1 zeigt die Rückrufquoten für das 1. Halbjahr in den USA. Nach Berechnungen des Center of Automotive Management erreichen die Rückrufe in der Automobilindus-
trie als Risikofaktor für globale Hersteller 2014 ein neues Ausmaß. Im ersten Halbjahr wurden allein auf dem Referenzmarkt USA über 37,2 Mio. Pkw zurückgerufen. Das sind mehr Fahrzeuge als in den beiden vorherigen Kalenderjahren (2012 und 2013) zusammen. Die Rückrufquote wird definiert als das Verhältnis der Zahl zurückgerufener und der Zahl insgesamt verkaufter Autos. Sie liegt für die untersuchten Konzerne im Durchschnitt bei etwa 455 Prozent [4].
2. Auswahl und Bewertung von Qualitätsmaßnahmen
Maßnahmen zur nachhaltigen Qualitätsverbesserung gibt es viele. Neben der Analyse von Qualitätsdaten und -kosten (unter anderem Nacharbeits-, Garantie- und Kulanzkosten) sind Interviews in allen beteiligten Bereichen des Unternehmens – von der Entwicklung über Händler bis zum Kunden – ein geeignetes Mittel. Eine wesentlich größere Herausforderung ist die qualitative und quantitative Bewertung der Wirkung potenzieller Maßnahmen auf die ausgewählten Kennzahlen und zusätzlich ihre Wirkzeitpunkte. An dieser Stelle ist die Erfahrung von internen und externen Fachexperten notwendig, die basierend auf der Erarbeitung von Wirkketten, Unternehmensplandaten und ihren Erfahrungen Aussagen zu Maßnahmenwirkungen treffen können.
3. IT-seitige Identifizierung von Qualitätsmangeln und Reduzierung von Rückrufen
Ein von Deloitte entwickeltes Predictive Quality Analytics System ermöglicht die proaktive Identifikation von Qualitätsmängeln, ein Gegensteuern und somit eine Reduzierung von Rückrufen. Anhand von Prognosemodellen können Vorhersagen getroffen werden, mit welcher Wahrscheinlichkeit Kunden ein Produkt innerhalb eines gewissen Zeitraums beanstanden. Darüber hinaus lassen sich Aussagen darüber treffen, welchen Einfluss bestimmte Kundendemografika und das damit verbundene typische Nutzungsverhalten auf die Rückrufquote haben. Abhängig von den Parametern, die in das Modell einfließen, lassen sich sowohl unmittelbar nach dem Kauf auftretende Defekte prognostizieren als auch solche, die bei Fahrzeugen zu Gewährleistungsfällen führen können, die schon längere Zeit im Feld in Betrieb sind.

Bild 2: Quality Management Dashboard
Eine klassische Predictive Quality Analytics Plattform ist in mehreren Ebenen aufgebaut. Auf Datenebene werden diverse Quellen konsolidiert und bilden die Basis für Auswertungen. Die Analytics-Ebene ermöglicht verschiedene Methoden, u. a. Textanalysen, Ereigniszeitanalysen sowie Poisson-Regressionen. Textanalysen verarbeiten unstrukturierte Textdateien und fassen sinnverwandte Begriffe zusammen. Textfragmente, die in Bezug auf Fahrzeugfehler wiederholt genannt werden, lassen sich hierdurch in kurzer Zeit erfassen. Ereigniszeitanalysen ermitteln die erwartete Lebensdauer eines Bauteils. Das System verarbeitet Gewährleistungsdaten und stellt diese grafisch dar; die Darstellung zeigt Trends und Abweichungen von der erwarteten Lebensdauer eines Teils auf. In Poisson-Regressionen werden Gewährleistungsdaten verarbeitet. Diese Verarbeitungsmethode zeigt die prognostizierte Häufigkeit eines Ereignisses innerhalb eines bestimmten Zeitraums– also den Erwartungswert, der aussagt, wie oft bei einem Teil innerhalb eines Jahres ein Fehler auftreten wird. Bild 2 illustriert das Dashboard eines klassischen Predictive Quality Analytics Systems.
Die Predictive Quality Analytics Modelle ermöglichen die Integration von Datenquellen auf breiter Ebene, effizientes Data Mining sowie benutzerfreundliche Auswertungen, die sich in leicht verständliche Berichte umwandeln lassen, die kein Experten-Know-how erfordern. Abhängig von der Zielgruppe lassen sich die Analyseergebnisse auf verschiedenen Aggregationsebenen anzeigen. Damit ist das System einerseits managementtauglich und anderseits ein operatives Arbeitsmittel für den Endnutzer.
Mit der Einführung von Predictive Quality Analytics Systemen wird es möglich, das Rückrufmanagement dramatisch zu verändern, erhebliche Effizienzsteigerungen und massive Einsparungen im Bereich der Gewährleistungs- und Kulanzkosten zu erreichen. Einmal aufgedeckt, können potenzielle Qualitätsmängel frühzeitig kontrolliert werden. Bereits eine einprozentige Verringerung der Fehlerrate wirkt sich signifikant auf die Gewährleistungskosten aus, da die Anzahl betroffener Fahrzeuge drastisch reduziert wird. Neben materiellen Verbesserungen werden zudem immaterielle Effekte wie erhöhte Kundenzufriedenheit und ein verbessertes Markenimage erzielt.
Schlüsselwörter:
Qualitätsmanagement, Qualitätsstrategie, Automobilindustrie, Premiumqualität, Predictive Quality AnalyticsLiteratur:
MBtech Consulting GmbH: Qualitätsmanagement von der Strategie bis zur Umsetzung. S. 3, 2008.
Neumayer, M.: Qualität lässt sich messen. Porsche Consulting – Das Magazin. Nr. 14, S. 16, 2014.
Winterkorn, M.: Qualitätsstrategie und Innovationszwang im Spannungsfeld von globalisiertem Markt und Kundenorientierung. Periodica Polytechnica Ser. Soc. Man. Sci. Vol. 12, Nr. 1, S. 11–14, 2004.
Center of Automotive Management, Rückruf-Trends der globalen Automobilhersteller im 1. Kalenderhalbjahr 2014, 24.07.2014.