Künstliche Intelligenz
ersetzt kluges Handeln nicht

Götz-Andreas Kemmner

Wenn ich mir die aktuellen Diskussionen um IoT und smarte Materialwirtschaft anschaue, dann bin ich immer wieder überrascht, wie oft der Eindruck erweckt wird, dass vor allem Künstliche Intelligenz das wesentliche Element zum Schließen der Digitalisierungslücken in Supply Chain Management und Materialwirtschaft sei.

Große Lücken in der Digitalisierung bestehen in der Tat und der große Schatz an Supply Chain Daten und dokumentiertem Wertstromverhalten, der sich in unseren ERP-Systemen versteckt, wird noch viel zu wenig genutzt. Bei einigen Prozessen im Supply Chain Management, z. B. im Bereich der Produktionsfeinplanung, lassen sich mit Methoden der Künstlichen Intelligenz auch neue Potenziale erschließen.
Doch seien wir ehrlich: Um eine effiziente und wirtschaftliche Supply Chain aufzubauen, braucht es deutlich mehr als die rein technische Optimierung von Routen, mehr als digitale Meldungen von Bestandsverbräuchen in Echtzeit, mehr als automatisierte Nachbevorratung bis hin zu Vendor Managed Inventory.
Da mangelt es einerseits an trivialen technischen Voraussetzungen. So steckt beispielsweise manches Unternehmen in konzerninternen ERP-Prozessfallen, weil über Werke hinweg keine Verknüpfung der Bedarfsplanung stattfindet. Der Sekundärbedarf der einen Entity wird nicht direkt als Primärbedarf der anderen erkannt, solange kein „offizieller“ Auftrag eingegangen ist. Unterbrochene Planungsketten beginnen allzu oft bereits an der Front zum Markt. Der Vertrieb wird in materialwirtschaftliche Planungsprozesse nicht eingebunden, wodurch wichtige Infos zu zukünftigen vertrieblichen Entwicklungen nicht in die Planung der Nachbevorratung einfließen können.
Wenn wir den Fokus weiter aufziehen, stellen wir fest, dass es auch an dem Blick auf die Gesamtzusammenhänge fehlt. Logistische Entkopplungspunkte sind deshalb falsch gesetzt, Stammdaten werden nicht oder falsch gepflegt und so manches logistische Geschäftsmodell passt überhaupt nicht zum Geschäftsmodell des Unternehmens.
Schnell wird heute auch über Künstliche Intelligenz schwadroniert, obwohl es einem noch nicht einmal gelungen ist, die Materialströme dispositiv anständig zusammenzustöpseln. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Zeit eilt und mehr „Sense of Urgency“ auf dem Weg zur Digitalisierung und Automatisierung unserer Supply Chains ist dringend notwendig. Die Lösung liegt aber nicht in „AI first“, sondern zu allererst in zügigen Projektentscheidungen, um solide Rahmenbedingungen für ihren Einsatz zu schaffen.